Bericht über den Workshop vom 6.9. 2014 in Paris zum Wahlrecht der Auslandsdeutschen
I. Die Tagung am 6.9. 2014 in der Parteizentrale der PS war vom SPD-Freundeskreis Paris (Elisabeth Humbert-Dorfmüller und Elina Weckert) organisiert worden. Es waren etwa 25 Teilnehmer zusammen gekommen, und zwar von den SPD OV Brüssel und Luxemburg, den Freundeskreisen Paris, Genf und Cambridge sowie den Genossen von der PS Frankreichs und der italienischen partito democratico. Die Tagung dauerte von 10 bis 17 Uhr und umfasste zwei Themen:
1. - das Wahlrecht für Auslandsdeutsche;
2. – das weitere Vorgehen zu SPD-International
II. Das Wahlrecht für Auslandsdeutsche
Um eine Vorstellung von der möglichen Ausgestaltung eines Wahlrechts der Auslandsdeutschen zu erhalten, waren die zwei Vorträge aus französischer und italienischer Sicht äußerst aufschlussreich.
1. Das französische Wahlrecht
Damien Hentry von der PS hat uns in seinem detaillierten Vortrag (auf deutsch!) das komplexe französische System erklärt: es leben etwa 2 Millionen Franzosen im Ausland, von denen 1,6 Mll. registriert sind. Davon sind etwa 40% in Europa, 13% in Nordamerika, 15% in Afrika und 7% in Asien wohnhaft. Seit 2002 gibt es 11 Abgeordnete der Assemblée nationale für Auslandsfranzosen (von insgesamt 577 députés). Diese Abgeordneten werden von den Franzosen in einem Wahlgang in den 11 Bezirken (davon 7 in Europa!) in den Botschaften/Konsulaten gewählt. Bei den letzten Nationalwahlen entfielen von den 11 Mandaten 5 auf die Sozialisten, 5 auf die Rechten und ein Mandat auf die Grünen. Die Wahlbeteiligung der Auslandsfranzosen lag bei 42% (die der Auslandsdeutschen bei nur 4%!). In der französischen Regierung gibt es einen Staatssekretär für die Auslandsfranzosen. Im französischen Senat gibt es 12 Senatoren für die Auslandsfranzosen, die durch die im Ausland bestehenden französischen Vereinigungen gewählt werden. Die Regierung informiert ihre im Ausland lebenden Bürger regelmäßig über ein Internetforum „le petit journal“. Neben diesen besonderen Abgeordneten für Auslandsfranzosen gibt es bereits seit den 70er Jahren noch eine „Assemblée des francais à l’étranger“, die aus 443 Delegierten besteht, die von den Auslandsvereinigungen der Franzosen gewählt werden. Diese Assemblée hat nur eine beratende Funktion und keine formalisierten Beziehungen zu den 11 direkt gewählten Auslandsabgeordneten.
2. Das italienische Modell
Luca Saini von den italienischen Sozialisten hat uns das italienische Wahlrecht (auf englisch!) erklärt: demnach verbürgt die italienische Verfassung das Wahlrecht aller Italiener ohne jede Einschränkung was den Wohnsitz betrifft. Wer länger als ein Jahr im Ausland lebt, ist zur Wahl zum italienischen Parlament verpflichtet (allerdings eine Pflicht ohne Sanktion). Es gibt etwa 4,3 Millionen Italiener im Ausland, davon 2,3 Mll. in Europa (650.000 in D!), 1,3 Mll. in Südamerika (700.000 in Argentinien) und 400.000 in Nordamerika. Seit 2002 besteht für Auslandsitaliener durch Änderung der Verfassung die Möglichkeit der Briefwahl. Es gibt insgesamt 12 Abgeordnete in der Camera und 6 im Senat für die Italiener im Ausland. Von den 12 Wahlkreisen der Camera entfallen 5 auf Europa. Gewählt wird nach dem Verhältniswahlrecht mit Präferenzstimme. Die zu wählenden Abgeordneten der Auslandswahlkreise müssen selbst im Ausland wohnen (anders in Frankreich, wo die Abgeordneten aus dem Land kommen).Die Wahlbeteiligung bei den letzten Nationalwahlen lag etwa bei 30% der Auslandsitaliener. Die Mehrheit hat links gewählt, insbesondere in Frankreich und Deutschland. Die zur Wahl stehenden Kandidaten der Auslandsitaliener haben Zugang zu den Personaldaten der in ihrem Wahlkreis wohnenden Landsleute. Ähnlich wie in Frankreich gibt es in Italien eine Versammlung der Auslandsitaliener mit beratender Funktion und als Vermittlung zwischen den Auslandsitalienern und der Verwaltung.
3. Lösungsmöglichkeiten für Deutschland
Nach dem Mittagessen hat Volker Heydt vom SPD-OV Brüssel, der als Anwalt Vertreter der Kläger im Wahlprüfungsverfahren war, das zum Urteil des BVerfG vom 4.7. 2012 geführt hat, die deutsche Rechtslage und die möglichen Lösungen vorgetragen. Durch dieses Urteil wurde das Wahlrecht für Auslandsdeutsche als ungültig erklärt und der Gesetzgeber zur Neufassung verpflichtet. Mit der Änderung des Art. 12 Abs. 2 des BWahlG von 2013 wurde das Wahlrecht der Auslandsdeutschen geringfügig erweitert: demnach hat ein Deutscher im Ausland auch das Wahlrecht, wenn er
- entweder nach dem 14. Lebensjahr wenigstens 3 Monate in Deutschland gewohnt hat und dies weniger als 25 Jahre zurückliegt,
- oder nie eine Wohnung in Deutschland hatte, aber persönlich und unmittelbar mit den politischen Verhältnissen in der BRD vertraut ist.
In der Diskussion waren wir uns einig, dass insbesondere der subjektive unbestimmte Begriff des „persönlichen und unmittelbaren Vertrautseins“ rechtlich nicht praktikabel ist und zu Gesinnungskontrollen einlädt. Es wurde daher gefordert, politisch eine ersatzlose Streichung von Abs. 2 des Art. 12 BWahlG zu erwirken. Eine erneute Beschwerde beim BVerfG erscheint wenig erfolgreich, weil das Gericht selbst diese subjektiven Kriterien vorgeschlagen hat. Nur der Gesetzgeber kann handeln und eine Einschränkung des Wahlrechts von Auslandsdeutschen aufheben, so wie dies in Frankreich und Italien geschehen ist (in Dänemark sind allerdings sämtliche im Ausland wohnenden Dänen vom Wahlrecht ausgeschlossen). In der Diskussion mit Dennis Eighteen vom SPD-PV aus Berlin wurden dann die Möglichkeiten diskutiert, die Wahlbeteiligung der Auslandsdeutschen zu erhöhen (bei der letzten Bundestagswahl waren es nur 4%!). Meiner Meinung nach hat das geringe Interesse drei Ursachen:
es fehlt zunächst an einer Mobilisierung der Auslandsdeutschen durch die Regierung (sprich: Botschaften) und die politischen Parteien;
es fehlt zudem – anders als in Frankreich und Italien – an einer Organisation der Deutschen in den jeweiligen Ländern;
es fehlt drittens an direkt zu wählenden Abgeordneten in zu schaffenden Auslandswahlkreisen, die sich hauptsächlich für die besonderen Belange der Auslandsdeutschen einsetzen. Die hohe Wahlbeteiligung der Auslandsfranzosen und –italiener liegt auch an der Errichtung von Auslandswahlkreisen und Auslandsabgeordneten.
III. Die Zukunft von SPD-International
Dennis Eighteen vom SPD-PV aus Berlin sprach sich mehr oder weniger deutlich gegen den Satzungsentwurf aus. Er hält einen solchen formellen Ansatz nicht für realistisch und plädiert dafür, statt der Form eher die Inhalte in den Vordergrund zu stellen: was ist von der SPD-International gewollt und wie kann man das am besten umsetzen. Er hält eine Satzungsänderung der SPD für einen Riesenprozess, der langwierig und politisch sehr umstritten wäre. Er sieht die Möglichkeit größerer Mitbestimmung eher in der Schaffung von Themenforen, die sich mit den Belangen der SPD-International befassen.
Dennis erntete (insbesondere von mir) deutliche Kritik wegen dieses aufgeweichten Konzepts einer Mitwirkung der SPD-Auslandsorganisationen am innerparteilichen Entscheidungsprozess. Auch die übrigen Teilnehmer waren skeptisch gegenüber einer solchen Organisationsform und sahen die Gefahr, dass damit kein Zwischenschritt, sondern eine endgültige Regelung getroffen würde. Dennis erwähnte dann, dass es im PV ein Rechtsgutachten gäbe, das die Schaffung eines Parteienstatuts für SPD-International kritisch sieht. Ich habe daraufhin gefordert, dass uns dieses Gutachten zur Verfügung gestellt wird (was Dennis versuchen wird!). Im Laufe der Diskussion wurde dann klarer, dass ein Themenforum als neue Form in der Satzung der SPD vorgesehen ist und auch mit Delegierten und Antragsrechten ausgestattet werden kann. Die Teilnehmer haben sich dann dafür ausgesprochen, eine solche Möglichkeit ins Auge zu fassen unter der Voraussetzung, dass damit Delegierte und Antragsrechte verbunden sind und dies nur als Zwischenlösung für eine satzungsmäßige Verankerung von SPD-International zu betrachten ist. Dennis hat zugesagt, mit der Parteiführung die Einrichtung eines solchen Themenforums zu diskutieren. Bis Ende des Jahres soll ein Treffen beim PV in Berlin stattfinden, um die Einzelheiten und Möglichkeiten dieser Organisationsform zu prüfen.
Luxemburg, 7.9. 2014 Johann Schoo